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Christina Gruber

InterviewChristina GruberJahr2023Share

Christina Gruber ist Künstlerin, Gewässerökologin und Dozentin an der Universität für angewandte Kunst in Wien und der Kunstuniversität in Linz. In ihrer Arbeit bewegt sie sich in den Übergangszonen zwischen Kunst und Wissenschaft sowie Wasser und Land.

Was möchtest du Flussinteressierten näher bringen?

Das ist eine schwierige Frage, aber auch eine gute. Was mich selbst am Fluss fasziniert hat, ist, was ich damals nie gesehen habe in meiner Schulzeit, ist nämlich, dass Flüsse keine Konstanten sind oder auch wie anders Flüsse vor 100 oder 150 Jahren ausgesehen haben.

Das kam dann erst in der Uni. Wiederzulernen, wie Flüsse aussehen könnten, das ist für mich ein wichtiger Punkt für Schulen. Dass man versteht, in was für einem Zustand der Fluss ist.

Denn das müssen wir jetzt nie tun, weil es da immer irgendein System oder Sensoren gibt, technologische Instrumente, die für uns messen, ob der Wasserstand passt und die Wasserqualität in Ordnung ist.

Um wieder ein Verständnis für den Fluss zu gewinnen, ist es wichtig, dass man Zeit am Fluss verbringt und Inputs bekommt über den Zustand vom Fluss: Ist er begradigt? Sollte eigentlich ein riesiger Auwald darum herum sein, ganz viele Nebenarme? Das sind so Dinge, die ich früher nie gesehen habe und jetzt denke ich mir das jedes Mal, wenn ich einen sehr geraden Fluss sehe – wie traurig und eintönig.

Diese Monotonie habe ich z.B. davor nie gesehen und ich glaube, dass uns das alle etwas angeht und dafür sollte man eigentlich auch nicht unbedingt Gewässerökologie studieren müssen, damit man weiß, wie Flüsse eigentlich sein könnten. Sie sind natürlich auch Plätze, an denen man sich gern aufhält.

Das andere, was ich wichtig finde, ist, dass man den Fluss aus Perspektive verschiedener Agent:innen ansieht. Zum Beispiel für einen Stein im Fluss, wann ist für diesen Stein ein Fluss ein Fluss? Auch aus der Perspektive von einem Fisch, für ganz kleine Lebewesen, wie schaut da ein Fluss aus? Was muss der Fluss da bieten können? Natürlich ist der Mensch da auch dabei, aber wichtig ist auch, dass der nicht nur im Vordergrund ist.

Wie geht es den Tieren im Fluss? Wie schaut es bei aquatischen Lebewesen aus? Wie sehen die Übergänge zwischen Land und Wasser aus?

Man sollte das gar nicht wie eine klare Kante sehen, sondern dass das auch verschwimmt zu einer Übergangszone, denn es auch der Bereich, den wir nutzen können.

Da ist natürlich auch die Frage, wie nah man an den Fluss hingehen kann.


Genau, komme ich überhaupt an den Fluss? Das sieht man zum Beispiel am Donaukanal, da kommt man überhaupt nicht ans Wasser, erst stadtauswärts. Dass man sich da auch Fragen stellt, warum ist das so unzugänglich?

Das ist ja auch sehr rigide. Bei einem “natürlichen” Fluss ist das ja auch etwas Veränderliches, da kommt einmal eine Kiesbank hinzu, dann geht sie wieder weg. Also etwas, das sich im Wandel befindet, aber durch die Kanalisation alles sehr statisch wird.

Die normale Bewegung des Flusses kann nicht mehr stattfinden.


Was sind neue Perspektiven, was sind Annahmen über Flüsse, die so nicht stimmen? Was müsste man anders denken über Flüsse?

Das gängige Verständnis von Flüssen ist glaube ich ganz oft, dass es nur so ein Transportband ist. Flüsse sind eigentlich viel mehr. Dadurch wird oft auch etwas unliebsam mit Flüssen umgegangen.

Sie wurden kommerzialisiert und sind jetzt auch eine riesige Energieressource. Was ich auch immer spannend finde, ist, dass man immer glaubt, Flüsse seien sehr schmutzig aufgrund von ihrem Trübheitsgrad. Meistens bedeutet das nämlich gar keine schlechte Wasserqualität, sondern einfach, dass Sand und Sedimente darin gelöst sind.

Eigentlich zeigt es, dass der Fluss in Bewegung ist, also eigentlich ein sehr gesundes Zeichen. Wir gehen aber oft davon aus, dass so eine braune Suppe bedeutet, dass der Fluss dreckig ist – eine Fehleinschätzung, weil wir so wenig mit dem Fluss zu tun haben. Wenn man sich den Fluss ansieht, merkt man eigentlich, dass er jeden Tag eine andere Farbe hat. Besonders bei der Donau sieht man das gut. Das ist wichtig zu sehen, dass ein Fluss so vielschichtig sein kann, vielfältig.

Das stört mich eigentlich am meisten, diese Annahme, dass Flüsse dreckig sind.

Es ist wichtig, dass man sich auch damit auseinandersetzt: der Fluss, an dem ich lebe, ist der verschmutzt oder nicht? Habe ich nicht auch ein Interesse daran, dass ich sehe, was er für mich tut, aber auch was für Zustände er gerade durchmacht?

Da finde ich es auch immer lustig, wenn Leute lieber in einen Pool gehen, weil man da auf den Grund sieht und Flüsse viel zu gefährlich sind. Was natürlich oft auch stimmt, aber das ist ja auch das Spannende, dass man sich selbst zurücknehmen muss oder auch sich genau damit auseinandersetzen muss.

Dann kommt ja auch oft die Frage, was dieses Dreckigsein eigentlich ist und von wem das so betrachtet wird. Wenn ein Pool gechlort ist, ist das ja in unserem Sinne sauber, aber aus Sinne des Flusses ist das ja keine ideale Lösung. Wie siehst du das, wann ist ein Fluss überhaupt ‘dreckig’?

Der Verunreinigungsgrad ist sicher ein Thema. Bei Flüssen ist es so, dass die Toxizität, also der Giftigkeitsgrad ganz unterschiedlich ist, aber anhand von unterschiedlichen Organismen gemessen wird, z.B. Zuckmückenlarven oder Eintagsfliegen. Die sind Marker dafür, wie verschmutzt ein Fluss ist. Natürlich ist es auch immer die Frage, wo man misst.

Nach einer Stadt ist ein Fluss immer verschmutzer als davor. Aber die Flussverschmutzung ist definitiv ein Problem, das innerhalb der letzten Jahre sogar zugenommen hat, beispielsweise durch die Belastung mit Hormonen oder Medikamentenrückständen, was ja vor allem für die Lebewesen im Fluss eine Rolle spielt.

Das ist auch immer noch viel zu wenig diskutiert, dass das einen großen Impact hat, was wir eigentlich die Klospülung herunterspülen.

Und das interessiert uns ja oft auch erst wieder, wenn man bemerkt, dass einen die Flussqualität auch selbst betrifft.

Genau, da schließt sich der Kreis und das find ich auch wichtig, dass man zu verstehen beginnt:

Geht es dem Fluss gut, geht es mir gut.

Es gibt da ja keine Trennung zwischen uns hier in der Stadt und dem Fluss da draußen, denn das kommt ja immer wieder zurück. Das ist auch immer noch ein großes Missverständnis.

Auch interessant, weil das doch eine eher anthropozentrische Sichtweise ist.

Ja, aber wir brauchen das halt auch! Das gehört dazu. Vielleicht geht es auch darum, dass wir beim ökozentrischen auch immer mit eingeschlossen sind. Für mich war das auch immer schwierig, sich da ganz rauszunehmen. Ich glaube das geht auch gar nicht.

Stimmt, ökozentrisch heißt ja auch nicht, dass Menschen gar kein Teil davon sind.

Vor allem ist es wichtig, dass wir damit aufhören, einfach alles zu übertönen.

Was macht man denn dann? Was kann man tun mit diesem Wissen? Welche Handlungsoptionen gibt es?

Ich glaube, Wissen ist so wichtig, da ich nur dann etwas verlangen kann, z.B. von Regierungsträgern oder Stakeholdern, wenn ich weiß, was da los ist. So lange wir nur so wenig über Flüsse wissen oder das nur so im Hinterkopf ist, wird sich natürlich niemand für sie einsetzen. Also diese Literacy: dass man den Fluss lesen lernt; lernt genauer hinzuhören. Und konkret heißt das auch, dass man sich für seine Flüsse stark macht. Deswegen gehe ich auch in meinen Kursen das Thema an: Was heißt es, wenn ein Fluss Rechte hat? Wenn er sich zur Wehr setzen kann? Das ist ja etwas, das haben wir den Flüssen großteils genommen. Davor hat ein Fluss eine Stadt überflutet. Aber das geht ja jetzt gerade auch nicht mehr, weil wir alles kontrollieren.

Es ist auch wichtig, dass man sich ansieht: Wer sind die Verschmutzer:innen, wer sind die Täter:innen? Wer kann auch zur Verantwortung gezogen werden?

Ich denke da gibt es viele Handlungsoptionen. Besonders wenn ich weiß, wie ein Fluss sein könnte und ich mich konkret dafür einsetze. In vielen Städten trinkt man auch Flusswasser.

Das heißt, jede Verschmutzung wird sich irgendwann in deinem Körper auch festsetzen. Somit beginnst du ja, der Fluss zu sein und damit geht uns das auch alle an, was mit Flüssen passiert.

Weil du ja auch künstlerisch tätig bist und viele internationale aktivistische Bewegungen in ihren Workshops künstlerische Strategien verwenden: Wie siehst du die Rolle der Kunst in dieser Veränderung?

Der große Vorteil ist da ja, dass man eine andere Ebene darstellen kann, die mehr berührt und direkt ansprechen kann. In meiner Arbeit beschäftige ich mich viel mit Unterwassertönen und der Frage, wie ein Fluss eigentlich klingt. Wie kann man sich einem Fluss nähern?
Da geht es auch darum, dass man die Möglichkeit hat, andere Geschichten zu erzählen. Ich kann zum Beispiel die Geschichte vom Stör erzählen, wie ich sie als Wissenschaftlerin nie erzählen könnte. Dass es eigentlich ein Dinosaurier ist, dass die Verbindung zu den Drachen etwas Mythologisches ist und, dass unsere Identität im Donauraum prägt.

Also auch ein persönlicher Zugang?

Wir sind da verbunden, vom Anfang der Quelle bis zum Delta. Man kann mehr Experimente machen, wo normale Vermittlung schon davor aufhört. Es ist ein freieres Format und auch eins, bei dem man nicht so hierarchisch vorgeht sondern so, dass alle Teilnehmer:innen gleichberechtigt dazu beitragen können, sodass beispielsweise jede:r eine eigene Flussgeschichte hat.

Deswegen glaube ich auch, dass es so gut ist, wenn man in Workshops rausgeht an den Fluss ­– weil man da Dinge lernen kann, die sonst nicht gehen. Das ist dann zu abstrakt, zu weit weg. Es ist ohnehin ein Problem, dass der Fluss die meiste Zeit aus unserem Sichtfeld verschwindet, kanalisiert oder gut abgedeckt wird.

Mit welchen Methoden arbeitest du, um Menschen greifbar zu machen, wie Menschen auf Flüsse einwirken? Wie visualisierst du das?

Ganz unterschiedlich. Viele Arbeiten sind Soundinstallationen, bei denen man hören kann, was unter der Wasseroberfläche stattfindet. Das sind auch Töne, die das menschliche Ohr normalerweise nicht zu hören bekommt, weil sie auf einer anderen Frequenz sind.

Da kann man sich überlegen: Wie hört denn ein Fisch? Das sind auch Töne, die sofort ausgewertet werden von Computersystemen, wo eine künstliche Intelligenz sagt: Zu viele oder zu wenig Steine. Normalerweise sind das Tonaufnahmen, die sich kein Mensch anhört.

Da fand ich es spannend, ob wir nicht selbst auch unser Ohr schulen können, so etwas zu hören. Die anderen Sachen sind auch viele vermittlerische Formate in Form von Audio Walks, sodass man sich beispielsweise Geschichten vom Fluss anhören kann. Das letzte Projekt war an der Mach, wo es darum ging, sich einen Tieflandfluss anzuhören entlang vom Iron-Curtain-Trail und was es da zu entdecken gibt. Dass man einerseits viele Millionen Jahre zurückblickt und andererseits spekulativ und narrativ überlegt, wie sieht die Zukunft von so einem Fluss aus? Was passiert da und wo sind wir da?

Was ist dein Lieblingsfluss?

Lieblingsfluss, einfach weil ich die meiste Zeit dort verbracht habe, ist die Donau. Und der Mississippi!

Was macht den so besonders?

Weil ich eine Zeit dort gelebt habe und der so ganz anders war als alle Flüsse, die ich davor gesehen hab. Und das fand ich cool, weil ich mich da nicht ausgekannt habe. Was ist da giftig, gefährlich, was bringt mich um? – Ich hab alles lernen müssen.

Er ist viel größer, die Vegetation, aber auch die Tierwelt ist ganz unterschiedlich zu unserer. Das war wie ein kleiner Kulturschock, aber eben in Flussform und das fand ich cool.

Im Fluss • Ein Handbuch

Ein Handbuch für Flussbegeisterte, und alle, die es werden wollen

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Yona Schuh & Anna Tenzer

 

1080 Wien, Österreich

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Im Fluss • Ein Projekt von Yona Schuh und Anna Tenzer. 2023